Green Deal: Der durch ESPR eingeführte digitale Produktpass und seine Bedeutung für die Zukunft
Die Europäische Union (EU) strebt sehr beharrlich die Ziele des Green Deals an und hat im Juli diesen Jahres mit der EU-Ökodesign-Verordnung 2024/1781 (ESPR – Ecodesign for Sustainable Products Regulation) einen wichtigen Schritt für eine zukunftssichere Warenwirtschaft gesetzt.
Die neue EU-Verordnung (ESPR) hat den digitalen Produktpass (DPP) mit eingeführt, welcher ab 2030 verpflichtend sein wird.
1. Was ist der digitale Produktpass (DPP - Digital Product Passport)?
Ziel ist es eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu fördern und durch die Einführung des digitalen Produktpasses die Umweltauswirkungen mithilfe digitaler Datenvernetzung besser bewerten zu können - auch im Sinne des Endverbrauchers und nachkommenden Generationen.
Der digitale Produktpass (DPP) wird zukünftig als eindeutiges Dokument für Waren in der EU fungieren und den gesamten Produktlebenszyklus digital nachvollziehbar und darstellbar machen.
Es handelt sich um einen Datensatz der über allen Stadien (Design, Herstellung, Nutzung, Entsorgung) eines Produktes informiert. Weitere obligatorische Angaben sind nach wie vor Produktname, Produktmodell, Datum und Ort der Herstellung sowie Angaben zu Gewährleistung und Garantie.
Die detaillierten Anforderungen an den digitalen Produkpass werden aktuell ausgearbeitet und bis Ende 2025 sollten die Standards zum DPP-System feststehen.
Was die Branchen angeht, so werden die Hersteller von Batterien als erste allen relevanten DPP-Vorgaben entsprechen. Bereits 2026 soll der DPP für initiale Produktgruppen eingeführt werden, bis 2030 dann sukzessive für Batterien (auch Autobatterien), Elektronik-, Informationstechnologie- und Plastikartikel sowie Textilien.
2. Was HändlerInnen und E-Commerce Shops jetzt beachten sollten!
Alle Produkte, die auf dem europäischen Markt verkauft werden, müssen ab 2030 die Anforderungen an den digitalen Produktpass erfüllen. Ohne DPP dürfen Produkte in der EU nicht verkauft oder in Betrieb genommen werden (Art. 9 Abs. 1 ESPR).
Auch Warenhersteller, Produzenten und Erzeugnisse z.b. aus den USA oder China, welche in europäischen Ländern vertrieben werden, müssen einen digitalen Produktpass führen.
E-Commerce Abläufe optimieren und Produkt-Informationen erweitern
Im Sinne des Klimaschutzes hat der digitale Produktpass zum Ziel Transparenz für die Endverbraucher zu schaffen und eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft in der EU stark voranzutreiben. D.h. es müssen alle Informationen zum Produkt erweitert werden, bzw. der digitale Produktpass bereits vor dem Kauf zugänglich sein. HändlerInnen und Online-Shops sollten dies bedenken und entsprechende Weichen stellen.
HerstellerInnen müssen sich intensive Gedanken über CO2-neutrale Produktionsweisen und Prozessoptimierung physischer Produkte machen: denn wie sich die Rechtslage abzeichnet, müssen alle Warenteile austauschbar und recycelbar sein. Ziel ist die Lebensdauer eines Produktes zu erhöhen und wertvolle Ressourcen einzusparen.
Online-Shops tun Gutes daran das aktuelle Track-and-Trace-System (System zur Verfolgung und Überwachung einer Lieferung) zu überprüfen bzw. zu erweitern und falls noch nicht vorhanden ein solches einführen. Denn so kann automatisiert die gesamte Lieferkette eines Produktes digital nachgezeichnet werden.
DPP-Systeme recherchieren, testen und implementieren
Um einen digitalen Produktpass zu erstellen braucht es eine technische Lösung, welche sich bestenfalls nahtlos in in das aktuelle IT-System integrieren lässt (weiterführende Informationen dazu unter Punkt 4 "Technische Anforderungen und SaaS-Lösungen).
Es ist zu beachten, dass z.b. die zuständigen Behörden andere Informationen benötigen werden als die Endkundschaft. Dies bietet Anlass um das gesamte Produktinformationssystem neu zu bewerten und die Möglichkeit neue Systeme zu testen und einzuführen.
Personal- und IT-Kosten kalkulieren und Umsetzung planen
Wichtig ist die Abschätzung des Aufwandes. Gerade für kleinere Online-Shops die meist begrenzte personelle und finanzielle Ressourcen haben, ist es jetzt wichtig sich darauf vorzubereiten, Kosten zu berechnen und die notwendigen Umstellungen langfristig einzuplanen.
3. Mehr Rechtssicherheit, höhere Kundenbindung und neues Marketingpotential
HändlerInnen und Produzenten dürfen den digitalen Produktpass nicht nur als Einschränkung, Last oder lästige Pflicht wahrnehmen, sondern als neue Chance & Herausforderung verstehen.
- Mit dem digitalen Produktpass kommt mehr Rechtssicherheit und Schutz für HändlerInnen gegen Produktfälschungen! Verbraucher erhalten einfacher Informationen zu den Produkten und Herstellungsweisen, was sich positiv auf das Kaufverhalten auswirken kann.
- Umgang mit Kundenfeedback, Aftersales-Aktionen und sog. Loyalty-Programme sind entscheidend für die Kundenbindung und das positive Image eines E-Commerce Unternehmens & Shops. Je mehr Transparenz und Information die KäuferInnen bekommen, desto mehr Vertrauen erhält der Händler mit seinen Produkten. Der digitale Produktpass bietet die Möglichkeit umfassende Anweisungen & Tipps zu kommunizieren und so auch mehr Kundennähe zu schaffen.
- Mit der Einführung des digitalen Produktpasses eröffnet sich neues Marketingpotenzial in der breiten Masse von Menschen welche wenig Zeit haben um ausgiebig Hersteller-Informationen zu recherchieren und sich im sog. "Attitude-Behavior-Gap" befinden. Die Einstellung dieser Konsumenten zum Kauf von nachhaltigen Produkten ist zwar hoch, scheitert aber letztendlich oft u.a. mangels Transparenz in der Kaufentscheidung. Durch den intelligenten Einsatz des DPP als etablierte Informationsquelle im "Customer life cycle" können angereicherte Daten zur nachhaltigen Produktion und Optimierung der Produkte einen hohen Mehrwert darstellen.
Eine frühzeitige Einführung, die sogar den DPP-Verordnungen voraus ist, kann Risiken mindern und Wachstumschancen eröffnen.
4. Technische Anforderungen und SaaS-Lösungen
Wer als HändlerIn die digitalen Produktangaben jetzt schon akkurat verwaltet und in den entsprechenden Warenwirtschaftssystemen erfasst und vernetzt hat Vorteile. E-Commerce Dienstleister, welche ein Composable Commerce System im Einsatz haben, können von der besten Technologie und flexiblen Erweiterungsmöglichkeiten profitieren und so schneller agieren.
Leider ist das genaue Format & Layout des DPP sowie die spezifischen Daten, welche im digitalen Produktpass gespeichert werden müssen, von der EU-Kommission noch nicht festgelegt.
Als mögliche Vorlage für den europäischen DPP kann das United Nations Transparency Protocol (UNTP) dienen?
Klar ist bisweilen, dass der digitale Produktpass leicht zugänglich sein soll und durch das Scannen eines Datenträgers (NFC-Technologie) oder QR-Codes auf dem Produkt über eine App, Website o.ä. Anwendung aufgerufen wird.
Ab 2026 soll es ein Produktpassregister der EU geben, welches die Daten zentral speichert. Ein eigenes Webportal der Kommission soll diese Daten vergleichbar und für öffentliche Organe zugänglich machen.
Im Idealfall dient das PIM (Produkt-Informations-Management) System als "Single Source of Truth (SSOT)" und der DPP lässt sich direkt im PIM z.B. durch spezielle Attribute erstellen und im richtigen Format exportieren oder über eine Schnittstelle bzw. Zusatzmodule (Apps) anbinden.
Es gibt viele DPP-Technologie Anbieter welche als SaaS-Systeme nahtlos angebunden oder als Standalone-Tool betrieben werden können. Es kommt vor allem auf den richtigen Tech Stack an, mit Blick auf die Anforderungen modularer IT-Systeme und einer zentralen Datenverwaltung bzw. Synchronisation.
Um die eindeutige Kennzeichnung eines Produktes (Seriennummer) sicherstellen zu können, wird wohl auch wie bisher der GDSN/GS1-Standard angewandt, wie wir ihn von Barcodes und RFID (Radio-Frequency Identification) kennen. GS1 Identifikationsstandards identifizieren Produkte, Orte und Dinge eindeutig und verwenden dabei im Hintergrund z.T. Blockchain-Technologien als Verschlüsselungs- und Authorisierungssysteme.
Web3 & Blockchain als sichere Datenbank: Tokenisierte Produktpässe und QR-Codes
Insbesondere bei Luxusgütern kommen immer mehr tokenisierte Besitzurkunden (Proof of Ownership) und digitale Echtheitszertifikate sowie digitale Produktpässe zum Einsatz, welche die einzigartigen Daten zur Identität, Eigentum und bis hin zum gesamten Produktlebenszyklus eines Produkts sicherstellen und in der Blockchain speichern.
Dezentrale Ledger können garantieren, dass einmal auf einem sog. tokenisierten DPP aufgezeichnete Daten nicht mehr verändert oder verfälscht werden können. Dies schafft eine permanente, transparente und vertrauenswürdige Authentifizierung und sichere Nachverfolgung eines Produkts von den Rohstoffen bis zum Ende des Lebenszyklus.
Fazit: Schlau ist, wer jetzt handelt!
In der E-Commerce Branche ist das Thema "digitaler Produktpass (DPP)" noch nicht in aller Munde und die Bestimmungen zu Format, Layout etc. sind gerade erst in Ausarbeitung. Dass eine umfassende Digitalisierung mit KI und Datenhoheit in allen Wirtschaftsbereichen zum Zünglein an der Waage wird, ist aber wohl bekannt.
Schlau ist, wer jetzt handelt und sich nach geeigneten Software-Lösungen umschaut oder beraten lässt.
Trotz vieler neuer Regulierungen von Seiten der EU-Kommission sollten HändlerInnen und E-Commerce DienstleisterInnen nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern die Chancen nutzen!
Aus Sicht des Endverbrauchers stellt die Einführung des digitalen Produktpass (DPP) einen Mehrwert in Punkto Rechtssicherheit–Transparenz dar. Für HerstellerInnen und HändlerInnen ergeben sich neue Marketingpotentiale und hoffentlich eine noch stärkere Kundenbindung abseits der bekannten Trampelpfade.
Dieser Beitrag ist hier in englischer Sprache erschienen.